Wie du in unsicheren Zeiten innere Stabilität aufbaust
Es sind unruhige Zeiten. Und für manchen von uns vielleicht auch beunruhigende Zeiten. Die geopolitischen Kräfteverhältnisse verschieben sich, in vielen Gesellschaften nehmen Spannungen und Polarisierungen zu und für den Klimawandel fehlt länderübergreifend entschiedenes Handeln. Wirtschaft, Kriege, innere Sicherheit, Migration, KI, Altersarmut, Mangel an bezahlbarem Wohnraum – diese Liste könnte ich noch beliebig verlängern.
Viele Menschen kämpfen mit Zukunftsängsten und fragen sich: Wie kann ich Unsicherheit aushalten lernen?
Und das verstehe ich gut – denn auf all diese Fragen gibt es einfache Antworten.
Mir persönlich geht es oft so, dass ich die Hintergründe besser verstehen möchte. Politiker oder Partei A nennt Lösungen, B wiederum ganz andere. Ich gehe also hin und recherchiere, um eine fundierte eigene Meinung zu bilden. Und habe dann das Gefühl, ich werde umso verwirrter je mehr Detailinformationen ich habe.
Kommt dir das irgendwie bekannt vor? Ich habe nun leider nicht die wahre Wunderformel dazu, und die gibt es ganz sicher auch nicht.
In diesem Artikel möchte ich darüber schreiben, wie wir inmitten all dieser Unsicherheiten einen klaren Kopf behalten – und wie wir mentale und emotionale Stabilität entwickeln können.
Warum fällt es uns so schwer, mit Unsicherheit umzugehen?
Unsicherheit ist keine Erfindung unserer Zeit. Aber irgendwie fühlt sie sich heutzutage anders an. Früher war das eher ein kurzer Schock, eine Krise, die wieder vorbeiging. Jetzt ist es eher so ein ständiges Hintergrundgeräusch. Aber warum stresst uns das eigentlich so?
Unser Gehirn will Kontrolle
Neurobiologisch betrachtet ist unser Gehirn nicht für unvorhersehbare, komplexe Situationen gemacht. Es arbeitet mit Mustern, mit Wiederholungen, mit Verlässlichkeit. Sobald es keine klaren Vorhersagen mehr treffen kann, wird unser limbisches System aktiv: Unser Alarmmodus springt an.
Die Folge? Wir erleben Stress. Wir suchen verzweifelt nach Gewissheiten. Und wenn wir sie nicht finden, greifen wir oft zu einfachen Antworten – auch wenn diese nicht unbedingt richtig sind. Unser Gehirn liebt klare Lösungen, selbst wenn sie auf falschen Annahmen basieren.
Psychologische Reaktionsmuster auf Unsicherheit
Je nach Persönlichkeit, Erfahrung und Prägung reagieren Menschen unterschiedlich auf Unsicherheit:
Doch langfristig helfen uns diese Strategien nicht weiter. Sie verstärken das Gefühl der Hilflosigkeit. Die eigentliche Lösung liegt darin, unsere Fähigkeit zu trainieren, mit Unsicherheit zu leben – ohne daran zu verzweifeln.
Innere Stabilität aufbauen: Bewährte Strategien gegen Zukunftsängste
Unsicherheit kann belastend sein – oder eine Chance, eigene Stärken weiterzuentwickeln. Entscheidend ist, wie wir mit ihr umgehen.
Wenn du gerade mit akuten Sorgen kämpfst:
Stabilisierung & Sicherheit zurückgewinnen
“Unsicherheit als Wachstumschance betrachten” – das klingt vielleicht gut, aber wie soll das gehen? Vor allem dann nicht, wenn sie gerade den eigenen Alltag massiv betrifft und wir uns schon stark verunsichert fühlen.
Schritt 1
Körperlich & mental stabilisieren
Bevor du an Strategien denkst, um dein Leben zu sortieren, brauchst du eine ruhige innere Basis. Dafür helfen:
Schritt 2
Den eigenen Einflussbereich klären
Gerade wenn viel Unsicherheit im Außen herrscht, ist es essenziell, den Fokus zu verschieben: Was liegt in deiner Kontrolle? Was kannst du aktiv beeinflussen?
Die Methode „Wirkungskreis“: Eine Reflexion deines Einflusses
Der Wirkungskreis ist eine einfache, aber tiefgehende Methode, um deine inneren Überzeugungen darüber, was du beeinflussen kannst und was nicht, zu reflektieren. Die Methode hilft dir, klarer zu erkennen, in welchen Bereichen du tatsächlich die Kontrolle hast und wo du die Verantwortung vielleicht unbewusst abgibst.
🔗 Hier kannst du in meinem Blogartikel genau nachlesen, wie der Wirkungskreis funktioniert.
Schritt 3
Umgang mit Informationsflut
Eine einfache Methode, um innere Stabilität aufzubauen, ist die bewusste Steuerung der eigenen Informationsaufnahme. Zu viel Information führt nicht immer zu mehr Klarheit. Eine bewusste Medienhygiene hilft:
Wenn du reflektieren willst:
Den Umgang mit Unsicherheit als Zukunftskompetenz verstehen
Für alle, die sich nicht akut überfordert fühlen, sondern sich mit dem Thema reflektiert auseinandersetzen wollen, ist die nächste Frage: Wie können wir lernen, Unsicherheit nicht als Bedrohung, sondern als Zukunftskompetenz zu betrachten?
Ambiguitätstoleranz trainieren – Warum es deine wichtigste Zukunftskompetenz ist
Unser Gehirn ist nicht darauf ausgelegt, mit Unsicherheit umzugehen – doch Ambiguitätstoleranz trainieren hilft dabei, innerlich stabil zu bleiben.
Ambiguitätstoleranz bedeutet, dass du Widersprüche und Unsicherheiten aushalten kannst, ohne dich davon überwältigt zu fühlen. Es ist die Fähigkeit, nicht sofort eine eindeutige Antwort oder Lösung zu brauchen, sondern verschiedene nebeneinander stehen zu lassen. Menschen mit hoher Ambiguitätstoleranz bleiben gelassener, wenn Dinge unklar sind – sie können mit offenen Fragen umgehen, ohne in Stress oder Überreaktionen zu verfallen.
👉 Neuroimpuls: Warum fällt es unserem Gehirn so schwer, Ambiguität auszuhalten?
Unser Gehirn ist darauf ausgelegt, Muster zu erkennen und vorherzusagen. Das bedeutet: Je klarer eine Situation ist, desto sicherer fühlt es sich. Sobald jedoch Unsicherheit oder Widersprüchlichkeit ins Spiel kommt, gerät unser Gehirn in einen inneren Konflikt. Der präfrontale Kortex (zuständig für rationales Denken) kämpft gegen das limbische System, das auf schnelle, emotionale Reaktionen setzt.
Die Folge: Wir erleben Stress, suchen nach klaren und Antworten greifen oft auf einfache Erklärungen zurück – selbst wenn diese nicht unbedingt richtig sind.
Doch genau hier setzt Ambiguitätstoleranz an: Sie hilft uns, diesen inneren Konflikt bewusst auszuhalten, anstatt vorschnelle Schlüsse zu ziehen.
Diese Fähigkeit lässt sich trainieren:
👉 Ambiguitätstoleranz ist eine Schlüsselkompetenz für eine komplexe, sich ständig verändernde Welt. Je besser du lernst, mit Unklarheiten umzugehen, desto mehr innere Stabilität kannst du entwickeln.
Doch diese Unsicherheiten betreffen nicht nur uns als Einzelpersonen, sondern auch Organisationen, Unternehmen und ganze Gesellschaften. Wie können wir auf kollektiver Ebene mit Unsicherheit umgehen? Welche Prinzipien helfen nicht nur uns persönlich, sondern auch Teams und Strukturen, widerstandsfähig zu bleiben?
➡ In meinem Artikel über resiliente Organisationen gehe ich darauf ein, wie sich Resilienz vom Individuum auf größere Systeme überträgt – und warum Modelle wie VUCA und BANI uns helfen, die Herausforderungen von heute besser zu verstehen. 🔗 Hier kannst du mehr darüber lesen.
Kognitive Flexibilität stärken
Je flexibler unser Denken ist, desto besser können wir mit Unsicherheit umgehen. Kognitive Flexibilität bedeutet, dass du in der Lage bist, dich an neue Informationen anzupassen, verschiedene Perspektiven einzunehmen und auf veränderte Situationen nicht mit Erstarrung oder starren Mustern zu reagieren. Diese Fähigkeit ist entscheidend, um in einer komplexen Welt handlungsfähig zu bleiben – insbesondere dann, wenn es keine einfachen oder sofortigen Antworten gibt.
👉 Neuroimpuls: Warum fällt es unserem Gehirn schwer, flexibel zu bleiben?
Unser Gehirn liebt Verlässlichkeit. Es arbeitet mit mentalen Modellen und Mustern, um die Welt zu verstehen und schnelle Entscheidungen zu treffen. Sobald sich Rahmenbedingungen verändern oder Unsicherheiten auftreten, gerät unser limbisches System in Alarmbereitschaft. Der präfrontale Kortex – unser Zentrum für Planung und logisches Denken – hat dann die Aufgabe, neue Informationen zu integrieren. Doch das kostet Energie. Deshalb neigt unser Gehirn dazu, alte Denkmuster festzuhalten, selbst wenn diese nicht hilfreicher sind.
Die gute Nachricht: Kognitive Flexibilität ist trainierbar. Du kannst dein Gehirn darin schulen, besser mit Veränderungen umzugehen und Unsicherheit als normalen Bestandteil des Lebens zu akzeptieren. Dafür helfen diese Strategien:
Es gibt selten nur eine Wahrheit – vieles bleibt dynamisch. Statt in „richtig“ oder „falsch“ zu denken, hilft es, verschiedene Szenarien mit einer gewissen Offenheit zu betrachten. Stelle dir Fragen wie:
- Welche Möglichkeiten gibt es noch?
- Wie wahrscheinlich ist es, dass eine Annahme sich verändert?
- Gibt es gute Argumente für eine alternative Sichtweise?
Die Welt ist komplex, und einfache Lösungen sind selten nachhaltig. Wenn du dich dabei ertappst, dass du Dinge in Kategorien wie „gut/schlecht“ oder „richtig/falsch“ einordnest, hinterfrage, ob es Zwischentöne gibt.
- Gibt es eine dritte Option , die du noch nicht bedacht hast?
- Ist es möglich, dass zwei scheinbar widersprüchliche Ansichten gleichzeitig wahr sein können?
- Wo könnten Unsicherheiten eigentlich Chancen eröffnen?
Wer sich regelmäßig in unbekannte Situationen begibt, trainiert seine Unsicherheitskompetenz. Unser Gehirn hat sich daran gewöhnt, dass Veränderung nicht bedrohlich ist, sondern Teil des Lebens. Möglichkeiten, dies zu üben, sind:
- Eine neue Perspektive einnehmen (z. B. eine Diskussion bewusst aus einer anderen Sicht argumentieren).
- Eine neue Fähigkeit lernen, bei der du anfangs nicht „gut“ bist – das hilft, deine Anpassungsfähigkeit zu steigern.
- Bewusst Routinen brechen (z. B. eine andere Strecke zur Arbeit nehmen, ein neues Hobby ausprobieren).
Unser Denken ist oft von vertrauten Mustern geprägt – wir neigen dazu, Dinge so zu sehen, wie wir es gewohnt sind. Doch in unsicheren Zeiten ist die Fähigkeit, gedanklich flexibel zu bleiben , besonders wertvoll. Sie hilft, sich schneller an Veränderungen anzupassen, neue Perspektiven zuzulassen und konstruktiv mit widersprüchlichen Informationen umzugehen.
Möglichkeiten, dies zu trainieren:
- Setze dich gezielt mit Meinungen auseinander, die deine eigenen widersprechen, ohne sie sofort abzulehnen.
- Stelle dir vor, du müsstest eine Entscheidung unter völlig anderen Bedingungen treffen – was würde sich ändern?
- Erlaube dir, eine Meinung oder Haltung auch einmal zu revidieren, wenn neue Informationen hinzukommen.
👉 Kognitive Flexibilität ist eine der wichtigsten Zukunftskompetenzen. Sie hilft dir nicht nur, mit Unsicherheit besser umzugehen, sondern auch kreativer, widerstandsfähiger und langfristig gelassener zu bleiben.
Wie du dein Nervensystem in unsicheren Zeiten regulieren kannst
Unsere Gedanken können flexibel sein – doch oft fühlt sich Unsicherheit nicht nur kognitiv , sondern auch körperlich an. Vielleicht kennst du das: Ein unruhiger Magen, angespannte Schultern, ein schneller Puls, wenn du dich in einer unklaren Situation befindest. Das ist dein Nervensystem, das auf Unsicherheit reagiert.
Hier hilft dir Achtsamkeit weiter. Sie ist kein „ruhiges Sitzen im Lotussitz“, sondern eine hochwirksame Methode, um Unsicherheit bewusst wahrzunehmen, ohne sofort in Angst oder Stress zu verfallen. Durch Achtsamkeit kannst du lernen, die körperliche und emotionale Reaktion auf Unsicherheit zu regulieren.
Eine einfache Übung:
Statt dich sofort mit Gedanken wie „Was passiert als Nächstes?“ oder „Wie kann ich das Problem lösen?“ zu beschäftigen, halte kurz inne. Richte deine Aufmerksamkeit auf deinen Atem. Spüre, wie sich dein Körper anfühlt. Diese bewusste Pause kann den Unterschied machen zwischen impulsiver Reaktion und klarem Handeln.
Fazit: Unsicherheit bleibt – aber unsere Haltung dazu ist veränderbar
Es ist ein natürlicher Reflex, sich nach Sicherheit zu sehnen – nach klaren Antworten, stabilen Rahmenbedingungen, nach einem Gefühl der Verlässlichkeit im Außen. Doch je mehr wir versuchen, diese äußere Sicherheit zu erzwingen, desto deutlicher zeigt sich: Sie existiert nicht in der Form, die wir uns wünschen.
Die Welt bleibt komplex, das Leben bleibt unvorhersehbar, und Unsicherheiten werden uns immer begleiten. Doch das bedeutet nicht, dass wir ihnen ausgeliefert sind. Was wir entwickeln können, ist innere Stabilität.Eine Art von
Das erfordert eine bewusste Entscheidung: Lernen wir, mit Unsicherheit zu leben, ohne dass sie uns lähmt? Oder suchen wir immer wieder nach falscher Gewissheit, die uns letztendlich nur noch unsicherer macht?
Innere Stabilität bedeutet nicht, dass wir alles im Griff haben oder immer gelassen bleiben. Es bedeutet, dass wir uns selbst vertrauen, auch wenn wir nicht wissen, was kommt. Dass wir unser Denken flexibel halten, ohne in Schwarz-Weiß-Mustern zu verfallen. Dass wir unsere Werte als Orientierung nutzen, auch wenn der Weg vor uns noch unklar ist.
Die eigentliche Frage ist auch nicht, wie wir Unsicherheit vermeiden können.
Sondern: Wie lernen wir, sie zu tragen – ohne dass sie uns aus der Bahn wirft?
Denn genau darin liegt eine der wichtigsten Zukunftskompetenzen: Nicht von Unsicherheit erdrückt zu werden, sondern mit ihr leben zu können – und daran zu wachsen.

Marion Wandke
Ich bin Resilienz-Coach, psychologische Beraterin und Expertin für Persönlichkeitsentwicklung mit Fokus auf humanistischer Psychologie und Neurowissenschaften.
Wenn du lernen möchtest, in schwierigen Lebenssituationen deine innere Stärke zu finden und gelassener mit Herausforderungen umzugehen, bist du hier genau richtig! Statt allgemeiner Tipps gebe ich dir praxisnahe Methoden an die Hand, die im Alltag wirklich funktionieren.