Abschalten nach der Arbeit – warum es oft nicht gelingt und was wirklich hilft
Vielleicht kennst du das: Der Arbeitstag ist vorbei – aber innerlich geht es weiter
Du hast den Arbeitsplatz verlassen, die Tür hinter dir geschlossen – und trotzdem laufen die Gedanken weiter. Gespräche, offene Aufgaben, ungelöste Situationen bleiben präsent.
Der Körper ist längst zu Hause, aber dein System scheint gedanklich noch nicht im Feierabend angekommen zu sein.
Gerade wenn du viel Verantwortung trägst oder dich stark mit deiner Arbeit identifizierst, ist das kein seltenes Erleben. Der Wechsel von Anspannung zu Ruhe gelingt nicht automatisch.
Nach der Arbeit abschalten bedeutet mehr als den Ort zu wechseln – es ist ein innerer Vorgang. Und genau hier beginnt die Frage nach Selbstregulation.
Für das Abschalten gibt es keinen Schalter
Vielleicht hast du dir schon öfter vorgenommen, nach der Arbeit wirklich abzuschalten – die Gedanken an den Arbeitstag loszulassen, innerlich zur Ruhe zu kommen. Und trotzdem bleibt dein System in Spannung. Der Körper ist zu Hause, aber innerlich läuft alles weiter.
Abschalten geschieht nicht auf Knopfdruck. Es ist ein Prozess innerer Umstellung, der körperlich, emotional und mental ineinandergreift. Damit dieser Übergang gelingen kann, braucht es bestimmte Voraussetzungen: Pausen, Abgrenzung und klare Trennlinien zwischen Arbeit und Freizeit. Für viele Menschen gehört dazu auch eine kleine Routine, die bewusst das Ende des Arbeitstags markiert.
Genau das fehlt im Alltag vieler Menschen – besonders dann, wenn Verantwortung oder hohe Identifikation mit der beruflichen Rolle eine dauerhafte Präsenz verlangen.
Wenn du bemerkst, dass dein System nach einem langen Tag nicht in den Ruhemodus findet, liegt das selten an fehlender Disziplin. Häufig ist es ein Zeichen dafür, dass das Nervensystem im sympathischen Aktivitätsmodus bleibt – zuständig für Leistung, Wachheit, Reaktion.
Der eigentliche Feierabend beginnt jedoch erst dann, wenn der Übergang in den parasympathischen Zustand gelingt: Erst dort werden Regeneration und Verarbeitung möglich – und du kannst dich bewusst von der Arbeit distanzieren.
Was innerlich weiterläuft, wenn du nicht abschalten kannst
Du möchtest zur Ruhe kommen – aber innerlich bleibt etwas aktiv. Gedanken an die Arbeit, offene Punkte oder Gespräche lassen sich nicht einfach zur Seite schieben. Das System bleibt auf Empfang, auch wenn der Arbeitstag längst vorbei ist.
Gerade beim Abschalten zeigt sich, wie stark sich bestimmte innere Muster automatisiert haben. Vielleicht kennst du Gedanken wie:
„Wie soll ich das alles schaffen?“
„Morgen steht schon wieder so viel an – ich muss das irgendwie im Kopf behalten.“
„Ich muss erreichbar sein, vielleicht meldet sich ja noch jemand.“
„Wenn ich jetzt abschalte, bleibt etwas liegen.“
Solche inneren Stimmen sind oft keine bewussten Entscheidungen. Sie entstehen aus verinnerlichten Erwartungen, Rollenbildern oder Verantwortungsanteilen, die über Jahre wirksam geworden sind – oft unbemerkt. Was ursprünglich sinnvoll war, kann im Alltag zur Belastung werden.
Abschalten bedeutet dann nicht nur, gedanklich Abstand zu gewinnen, sondern auch eine bewusste Trennung von Arbeit und persönlichem Raum herzustellen.
Das Nervensystem bleibt sonst in einer Art innerem Spannungsfeld: zwischen dem Wunsch nach Ruhe und dem Gefühl, weiter präsent sein zu müssen.
Wenn du regelmäßig erlebst, dass du auch abends noch an die Arbeit denkst, ist das kein Zufall. Es ist ein Hinweis darauf, dass Selbstregulation an einer tieferen Stelle ansetzen darf.
Selbstregulation bedeutet, den eigenen inneren Zustand wahrzunehmen – und zu wissen, wie man damit umgehen kann.
Es geht nicht darum, sich zusammenzureißen oder alles im Griff zu haben.
Sondern darum, zu verstehen, was gerade im System passiert – körperlich, emotional und gedanklich – und welche Möglichkeiten du hast, den Zustand gezielt zu verändern.
Viele Menschen versuchen, mit dem Kopf zur Ruhe zu kommen. Aber solange der Körper im Aktivitätsmodus bleibt, gelingt das selten.
Was hilft, ist kein mentaler Trick, sondern eine klare Verbindung zwischen Wahrnehmung und Handlungsspielraum.
Ein reguliertes System erkennt Spannungszustände frühzeitig. Es weiß, wie es zwischen Anforderung und Entlastung wechselt – und kennt Übergänge.
Wenn du das nicht gelernt hast, ist das kein Defizit. Es zeigt nur, dass dein Nervensystem gelernt hat, Anspannung als vertrauten Zustand zu nutzen – besonders dann, wenn Strategien für den Übergang in die Ruhe fehlen.
Selbstregulation kann man lernen.
Nicht als Technik, sondern als Haltung: Du beginnst, dich selbst zu beobachten – ohne Bewertung. Du erkennst Muster, erkennst, was dich aktiviert, was dich beruhigt. Und du entwickelst Wege, dich dabei zu unterstützen – Schritt für Schritt.
Dabei können dir ganz unterschiedliche Zugänge helfen: ein achtsamer Atemzug, eine kurze Meditation oder ein körperlicher Impuls.
Es geht nicht um Kontrolle – sondern um die Fähigkeit, gezielt zu entschleunigen, abzuschalten und dich zu erholen.
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Was beim Abschalten hilft: Drei Ansätze, die dein System unterstützen
Wenn das System über längere Zeit auf Aktivität ausgerichtet ist, braucht es gezielte Impulse, um in den Ruhemodus wechseln zu können.
Nicht jeder Mensch reagiert auf dieselben Wege – aber es gibt Prinzipien, die das Abschalten erleichtern und dem Nervensystem signalisieren:
Du darfst jetzt runterfahren.
Hier sind drei alltagstaugliche Ansätze, die genau dort ansetzen – und dir helfen, das Abschalten lernen zu können.
Ein bewusstes Ritual am Ende des Arbeitstags
Ein kurzes, wiederkehrendes Ritual markiert den Übergang zwischen Arbeitsmodus und Freizeit. Das kann so einfach sein wie:
- bewusst den Arbeitsplatz verlassen
- Kleidung wechseln
- das Fenster öffnen
- eine feste innere Formel: „Der Tag ist abgeschlossen.“
Wichtig ist nicht das Ritual selbst, sondern die Wirkung, die es im System entfaltet: ein wiedererkennbares Signal, das Orientierung gibt. Selbst eine kleine Routine kann ausreichen, um deinem Körper zu zeigen: Jetzt darfst du loslassen.
Den Körper zur Wahrnehmung nutzen
Viele Menschen versuchen, über Nachdenken zur Ruhe zu kommen. Doch der Zugang zum Ruhemodus erfolgt meist über den Körper.
Bewegung, Atem, Dehnung, ein kurzer Spaziergang oder bewusstes Gähnen – all das sind Impulse, die körperlich beruhigend wirken, ohne dass du dich „bemühen“ musst.
Auch einfache somatische Übungen, das bewusste Spüren der Füße oder langsames Ausatmen helfen, dein System umzustellen. Eine kurze Meditation kann hier ebenso unterstützen – als bewusste Zäsur oder zur Entlastung.
Wenn innerlich noch etwas offen bleibt
Nach außen ist der Tag vielleicht beendet – aber innerlich läuft noch etwas weiter. Gedanken an offene Aufgaben, unerledigte Punkte oder das Gefühl, noch „auf Empfang“ zu sein, können bleiben.
Das ist nichts Ungewöhnliches. Besonders dann, wenn du viel Verantwortung trägst oder dich mit deiner Arbeit stark identifizierst, bleibt dein System oft länger aktiv.
Was hilft, ist kein bewusstes Abschalten, sondern ein Übergang: Ein kurzer Moment, der dir erlaubt, zu registrieren, dass der Tag zu Ende ist – und dass jetzt ein anderer Modus beginnen darf.
Das kann ein kleiner Satz sein wie „Für heute reicht’s“, eine bewusste Geste oder ein kurzer Moment der Stille. Nicht als Technik, sondern als Einladung an dein System, nicht mehr weiterdenken zu müssen.
👉 Neuroimpuls: Warum Rituale beim Abschalten helfen
Das Gehirn reagiert auf Wiederholungen mit Verknüpfung und Automatisierung.
Wenn du am Ende deines Arbeitstags ein festes Ritual durchführst – sei es ein Satz, eine Handlung oder ein kurzer Moment der Achtsamkeit –, entsteht im Nervensystem eine Verbindung: Diese Handlung = Wechsel in den Ruhezustand.
Wiederholung verstärkt diese Verknüpfung. Das limbische System – zuständig für emotionale Bewertung – registriert: Hier beginnt Sicherheit, hier darf ich loslassen.
Gleichzeitig aktiviert ein Ritual oft auch körperbasierte Signale (Bewegung, Atem, sensorische Reize), die den Parasympathikus ansprechen – den Teil des autonomen Nervensystems, der für Entspannung und Regeneration zuständig ist.
Je klarer und verlässlicher das Ritual ist, desto leichter fällt es dem System, zwischen Aktivität und Ruhe zu unterscheiden. Es entsteht Orientierung – und genau die fehlt häufig im Übergang zwischen Arbeit und Freizeit.
Fazit: Abschalten lernen heißt, sich selbst besser zu verstehen
Wenn dir das Abschalten schwerfällt, hat das selten mit Disziplin zu tun.
Viel eher zeigt es, dass dein System gelernt hat, in einem Zustand von Verantwortung, Wachheit oder Anspannung zu funktionieren.
Diese Muster sind nicht falsch – aber sie können dich festhalten, wenn der Wechsel in den Ruhemodus nicht mehr gelingt.
👉 Selbstregulation beginnt mit Selbstwahrnehmung.
Erst wenn du erkennst, was dich innerlich aktiv hält – ob äußere Anforderungen oder eigene Antreiber –, kannst du lernen, gezielt Einfluss zu nehmen. Vielleicht spürst du, dass es dir nicht nur um den Feierabend geht – sondern um die Frage, wie du grundsätzlich besser für dich sorgen kannst, ohne ständig im Funktionsmodus zu bleiben.
👉 Abschalten zu lernen ist keine Technik.
Es ist ein Teil von Selbstführung – und oft der erste Schritt zu einer anderen Haltung sich selbst gegenüber.

Marion Wandke
Seit über 15 Jahren beschäftige ich mich mit der Frage, wie Menschen in komplexen Lebensphasen innerlich klar und handlungsfähig bleiben können. Mich interessieren besonders die Wechselwirkungen zwischen Denken, Fühlen und Körperwahrnehmung – dort, wo Selbstregulation gefordert ist.
Ich arbeite heute als Resilienz-Coachin mit Fokus auf humanistischer Psychologie und Psychotherapie, Neurowissenschaften und Embodiment. Mein Schwerpunkt liegt auf Selbstführung und Selbstregulation als Schlüsselkompetenz. Ich bin überzeugt, dass echte innere Stärke aus Klarheit, Werteorientierung und Selbstführung entsteht.